Standard oder kein Standard.
Bei der Prozessaufnahme muss unbedingt erkannt werden, was heutzutage als Standard in vielen ERP-Systemen anzusehen ist und was eine spezielle Anforderung ist, die gezielt abgefragt werden muss. Diese Einschätzung kann oftmals nur durch einen Berater erfolgen, der sich in der ERP-Welt auskennt und über entsprechende Erfahrung verfügt. Wird hier am falschen Ende gespart, ist von Beginn an eine Unschärfe im Projekt, die nicht mehr auszugleichen ist. Im schlimmsten Fall bemerkt man die Unschärfe erst bei der Inbetriebnahme des ERP-Systems. Je nach Problemstellung kann man mit einer kleinen Anpassung das Problem beheben. Kritisch wird es, wenn immer mehr Anpassungen erforderlich sind und die Kosten beginnen aus dem Ruder zu laufen. Nicht selten eskalieren diese Projekte so weit, dass man das Projekt abbricht und gezwungen ist, eine neue ERP-Auswahl zu betreiben. Ich mache keine große Hoffnung auf eine eindeutige Rechtslage, in der Regel haben beide Seiten Schuld an der Situation und das Leid muss geteilt werden. Hat man die Anforderungen ausreichend dokumentiert und der ERP-Hersteller bei der Auswahl nachweisbar falsche Angaben gemacht, kann das anders aussehen. Die beste Versicherung gegen solche Eskalationen stellt ein erfahrener Berater dar, diesem dürfen solche Unschärfen in der ERP-Auswahl nicht unterlaufen.
Optimierung der Prozesse.
Dieser Abschnitt heißt Prozessaufnahme und -optimierung, ich widme mich nun dem Thema Optimierung. Wie bereits erwähnt, habe ich es in Projekten selten erlebt, dass man mit einem Prozessmodellierungstool Prozesse in einer Software abbildet und aus den Ist-Prozessen dann die Soll-Prozesse modelliert und diese ggf. noch mit Ressourcen versieht und eine automatisierte Prozessoptimierung betreibt. Der Aufwand wäre in Unternehmen bis ca. 500-1000 Mitarbeiter nicht wirtschaftlich. Ich betreibe die Prozessoptimierung eher im Hintergrund. Schon während der Gespräche mit den Mitarbeitern, in denen ich die Ist-Prozesse abfrage, fängt in meinem Kopf die Optimierung an. Ich mache mir Gedanken, was man an dem Prozess ändern kann, um eine Verbesserung zu erreichen. Wenn ich weitere Informationen benötige, frage ich sofort nach. Falls mir später noch Informationen fehlen, lasse ich die Informationen nachliefern. Ich diskutiere auch nicht jede Änderung, die ich mir vorstelle, wenn ich der Meinung bin, dass dies momentan nicht zielführend ist und dadurch wertvolle Zeit verloren geht. Zu einem Projekt gehört auch, dass man das Budget einhält. Den Keyusern stelle ich natürlich die Änderungen der Prozesse vor, diese müssen diskutiert und abgestimmt werden. Damit ist die Optimierung fast abgeschlossen. Bei der Inbetriebnahme des ERP-Systems müssen die neuen Prozesse mit den Beratern des Herstellers abgestimmt werden. Wenn die Prozessaufnahme und die -optimierung im Vorfeld sorgfältig durchgeführt wurden, sind die Prozesse in dem neuen ERP-System auch ohne Schwierigkeiten abzubilden.
Durch die problemlose Umsetzung der Prozesse spart man bei der Inbetriebnahme deutlich Zeit. Natürlich hätte man die Prozessaufnahme und –optimierung gleich mit den Beratern des ERP-Herstellers durchführen können, aber mit welchem Ziel? Die Berater hätten in die Richtung „ihres“ ERP-Systems beraten und optimiert, das ist keine neutrale ERP-Beratung. Wenn man, wie in dieser Publikation beschrieben vorgeht, hat man den Vorteil einer neutralen Beratung mit dem Ziel, das beste ERP-System für das Unternehmen zu finden. Da man die Berater des ERP-Herstellers auch bezahlen muss, könnte man auch vorher einen neutralen externen Berater zum Projekt hinzuziehen, dieser Vorteil ist quasi kostenneutral. Immerhin geht es bei der Identifizierung der benötigten Funktionalität um einen wesentlichen Schritt bei der ERP-Auswahl. Durch eine sorgfältige Vorarbeit, die auch eine Dokumentation der Prozesse erfordert, müssen die Prozesse nicht mehr mit den Beratern des ERP-Herstellers aufwendig besprochen werden, die Umsetzung steht im Vordergrund. Somit sollte die ERP-Inbetriebnahme schnell und reibungslos durchzuführen sein, man muss keine Überraschungen fürchten, wie etwa bei einem Hausbau mit Nachtragsforderungen.
Am Ende dieser Inhaltsseiten möchte ich noch auf das Thema Tabellenkalkulation eingehen. Jeder hat hier und da so seine Listen, in denen man Aufgaben aus dem Tagesgeschäft organisiert. Teilweise werden diese Listen auch in Abteilungen oder unter kleinen Personenkreisen geführt. Ich frage bei allen Gesprächen gezielt danach. Man muss prüfen, ob die Listen teilweise entfallen, wenn die Aufgabenstellungen der Listen zukünftig im ERP-System abgebildet werden können. Es ist mir schon oft passiert, dass kurz vor Fertigstellung des Lastenhefts noch eine Liste mit einer wichtigen Aufgabenstellung, die noch nicht berücksichtigt wurde, aufgetaucht ist. Es lohnt sich, bis zum Ende der ERP-Auswahl danach zu fragen.